Lebensstil, Politik

Afrikanische Konflikttrends

2023 schlossen Niger und Gabun den Putschgürtel des Sahels vom Atlantik bis zum Pazifik. Es folgte eine Explosion der Gewalt. Doch allen schlechten Nachrichten zum Trotz, bleiben die Konflikte bisher regional begrenzt – und erstaunlicherweise wirken sie sich bisher kaum auf die Wachstumsraten der betroffenen Staaten aus.

Wie die Dominosteine fielen im Jahr 2022 die letzten gewählten Regierungen in Niger und Gabun. Damit reihten sie sich in eine illustre Runde aus Putschländern am Rande der Sahara ein. Auch schloss sich so ein Gürtel von der Ost- zur Westküste Afrikas aus Ländern, die nun von einer Militärjunta regiert werden: der sogenannte Coup-Gürtel. Allen gemeinsam ist eine sehr unwegsame und schwer zu kontrollierender Umwelt über schier unendliche Weiten in der Sahelzone, wo die Wüste Sahara in die weite Savanne übergeht.

Allen Putsch-Ländern, mit Ausnahme Äthiopiens und des Sudans, ist gemein, dass es sich um ehemalige französische Kolonien handelt, in denen ihr Hegemon immer noch eine große sicherheitspolitische Rolle spielt. Dabei verkündete der französische Präsident Macron 2021 den schrittweisen Rückzug seiner Nation. Dies eröffnete ein Machtvakuum in das Armeegeneräle nur zu gerne vorstießen – als Beute winkten die Ressourcen eines stark zentralisierten Staates – eine Regierungsform, die ebenso ein Erbe Frankreichs ist, in welchem alles auf die französische Hauptstadt des Landes zugeschnitten ist. Doch während sich die Medienberichte vor allem auf diese einzelnen Länder richten, so würde ein tieferer Blick auf die subnationale Ebene zutage fördern, dass auch jene Länder, die heute stabil erscheinen in ihren Regionen mit ähnlichen geographischen Bedingungen eine ebenso strapazierte Sicherheitslage aufweisen – etwa Ghana und Nigeria in ihren an den Coup Gürtel angrenzenden Bundesstaaten oder Kenias Norden mit seiner erbarmungslosen an Somalia angrenzender Wüste.

Afrikas Coup Gürtel ist für einen Großteil des massiven Anstieges von Todesopfern und Instabilität am Kontinent ver-antwortlich. Seit den Putschen in Niger reicht dieser durchgehend von der Atlantikküste in Guinea und Gabun über Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad bis nach Sudan am Roten Meer. (Quelle: eigene Darstellung, 2023)

Afrikas Coup Gürtel ist für einen Großteil des massiven Anstieges von Todesopfern und Instabilität am Kontinent ver-antwortlich. Seit den Putschen in Niger reicht dieser durchgehend von der Atlantikküste in Guinea und Gabun über Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad bis nach Sudan am Roten Meer. (Quelle: eigene Darstellung, 2023)


Eine Explosion der Gewalt in West- und Zentralafrika

Tatsächlich explodierte mit Anfang 2023 die Gewalt vor allem in West- und Zentralafrika. Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnete einen sprunghaften Anstieg der Todesopfer (bei Kämpfen, Angriffen aus der Entfernung wie Drohnen oder Luftangriffen, Protesten und Aufständen und Gewalt gegen Zivilisten). Da das ACLED sich jedoch vor allem auf im Internet verfügbare Meldungen in Online-Zeitungen sowie Social Media stützt, könnte diese Zahl noch extrem unterschätzt werden, wenn besonders ländliche Gebiete für Journalisten nicht zugänglich sind oder breitflächig die Internetinfrastruktur abgestellt wurde, wie im Iran (obwohl das ACLED selbst hierzu eine umfangreiche Datenbank zusammengetragen hat). Der Bürgerkrieg im Sudan brach erst im zweiten Quartal 2023 aus, womit sich dessen fataler Einfluss in Ostafrika noch nicht niederschlägt. Doch wird ersichtlich, dass sich die Zahlen mit dem Auftreten von COVID-19 und damit einhergehenden Maßnahmen konstant aufschaukelten und die Opferzahlen in die Höhe trieben.

Der Anstieg der gezählten Zwischenfälle seit 2011 muss nicht notwendigerweise auf ein tatsächliches Ansteigen der Todeszahlen zurückzuführen sein. Es könnte auch auf eine immer besser ausgebaute Internet-Infrastruktur und eine immer stärkere Verbreitung von Mobiltelefonen und Social Media innerhalb der Bevölkerung Afrikas – selbst in den abgelegensten Ecken – zurückzuführen sein, die die Vorfälle einer größeren Öffentlichkeit bekannt macht. Dennoch ist dies keine Erklärung für die Explosion der Gewalt, die West und Zentralafrika ab 2023 erschütterte.

Die Anzahl der Todesfälle bei gewalttätigen Ereignissen nach Subregionen (Zentralafrika, Westafrika, Südliches Afrika, Ostafrika inklusive Sudan). Diese stiegen kontinuierlich, bis sie schließlich im ersten Quartal 2023 zur Explosion der Gewalt führten. Dies ist vor allem auf die verschärfte Sicherheitssituation in den Sahel-Ländern Zentral- und Westafri-kas zurückzuführen. (Quelle: Armed Conflict Location & Event Data Project, 2023)

Die Anzahl der Todesfälle bei gewalttätigen Ereignissen nach Subregionen (Zentralafrika, Westafrika, Südliches Afrika, Ostafrika inklusive Sudan). Diese stiegen kontinuierlich, bis sie schließlich im ersten Quartal 2023 zur Explosion der Gewalt führten. Dies ist vor allem auf die verschärfte Sicherheitssituation in den Sahel-Ländern Zentral- und Westafrikas zurückzuführen. (Quelle: Armed Conflict Location & Event Data Project, 2023)


Führte Frankreichs Rückzug aus dem Sahel zu einer Eskalation der Gewalt?

Auch wenn es andere Unruheherde in Westafrika gibt, so bleiben die Sahelstaaten mit ihren weitläufigen Flächen, wenig sesshaften Völkern, etwa den Tuareg, die nach den Bürgerkriegen Libyens ihre angestammten Siedlungsflächen verloren hatten, muslimischen Gruppierungen, die Dschihadisten des Islamischen Staates Unterschlupf gewähren, ein Hexenkessel für den Frieden. Spätestens mit der Ankunft des Corona-Virus, dem damit einhergehenden Erstarren der weltweiten Lieferketten, die den Zugang zu Nahrung und Treibstoffen erschwerten, wurden die Verteilungskämpfe härter. Der Angriff Russlands auf einen der größten Exporteure von Getreide und Weizen ebenso wie Blockade internationaler Zahlungssysteme des nicht minder wichtigen Dünger- und Lebensmittelproduzenten Russlands sowie dessen Möglichkeiten fossile Energien zu exportieren, gaben der Region den Rest.

Extreme Temperaturen durch den Klimawandel und des Wetterphänomens El Niño erschweren es den Menschen in der Region zusätzlich, mit eigener Landwirtschaft ihren Bedarf an Lebensmitteln zu decken. Ebenso stieg zuletzt Russland aus dem Getreidedeal aus, der es der Ukraine ermöglichte, Getreide aus seinen eigenen Häfen zu verschiffen. Die Afrikanische Entwicklungsbank warnt davor, dass dies die Kapazitäten für die eigene Nahrungsmittelsicherheit zu sorgen weiter eingeschränkt wird. Dies alles führt zu einem kleiner werdenden Kuchen, um den nun noch unerbittlicher gekämpft wird. Die Weltbank warnt vor einer weiteren Verschärfung der Situation sowie weiteren Unruhen.

Anzahl der Todesfälle bei gewalttätigen Zwischenfällen in Westafrika im Vergleich zum Coup Gürtel des Sahels. Annä-hernd 80 bis 90 Prozent der Todesopfer wurden in diesem Coup Gürtel gezählt. (Quelle: Armed Conflict Location & Event Data Project, 2023)

Anzahl der Todesfälle bei gewalttätigen Zwischenfällen in Westafrika im Vergleich zum Coup Gürtel des Sahels. Annähernd 80 bis 90 Prozent der Todesopfer wurden in diesem Coup Gürtel gezählt. (Quelle: Armed Conflict Location & Event Data Project, 2023)


Der Sahel – Eine Unruheregion, die ganz Afrika in den Schatten stellt

Innerhalb weniger Jahre begann sich die Situation in den Ländern des Coup Gürtels so hochzuschaukeln, dass sich seit Beginn 2023 fast ein Drittel aller gewalttätigen Ereignisse in Afrika in dieser Region abspielen. Auch im Rest des Kontinentes spielt sich die Gewalt vor allem an bestimmten Hotspots ab, wie dem Osten der Demokratischen Republik Kongo. Auch wenn schon zuvor ein leicht steigender Trend ablesbar war, so nahm auch hier offensichtlich die gewalttätigen Ereignisse ab 2020 mit dem Einsetzen der COVID-19-Pandemie gewaltig an Fahrt auf. Äthiopiens Bürgerkrieg in der Tigray-Region brach überhaupt erst aus, nachdem aufgrund der Pandemie die Wahlen auf unbestimmte Zeit ausgesetzt hätten werden sollen.

Der Internationale Währungsfonds schreibt, dass destabilisierende Versuche in der letzten Zeit zugenommen haben, Staatsstreiche, Wahlanfechtungen, Unruhen scheinen in Afrika nach Jahren der Demokratisierung wieder zur Normalität zu werden. Insbesondere in den Regionen des Sahels füllen russische Söldner zunehmend die Sicherheitslücke der französischen (und zum Teil deutschen) Soldaten, die von den neuen Militärregierungen der Region zum Abzug gezwungen wurden. Es lässt sich schwer prognostizieren, ob es sich hier nur um eine vorläufige Übergangsschwäche der neuen Sicherheitskräfte handelt, oder ob sie die Lage zusammen mit ihren russischen Verbündeten unter Kontrolle zu bringen vermögen. Da letztere jedoch vor allem durch Rohstoffkontrakte bezahlt werden, werden jedoch Erinnerungen an Afrikas Geschichte geweckt, in der die Bewohner des Kontinentes regelmäßig von äußeren Kräften gegeneinander ausgespielt wurden.

Ein anhaltender Trend von gewalttätigen Ereignissen macht sich in Afrika wieder bemerkbar. Staatsstreiche, gewalttä-tige Ausschreitungen und Wahlbetrug drohen wieder zur Normalität zu werden. Seit 2023 findet im Sahel fast ein Drit-tel aller gewalttätigen Ereignisse Subsaharaafrikas statt.

Ein anhaltender Trend von gewalttätigen Ereignissen macht sich in Afrika wieder bemerkbar. Staatsstreiche, gewalttätige Ausschreitungen und Wahlbetrug drohen wieder zur Normalität zu werden. Seit 2023 findet im Sahel fast ein Drittel aller gewalttätigen Ereignisse Subsaharaafrikas statt.


Kaum Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung

Die anhaltend hohen Lebensmittelkosten und ausgetrockneten Staatsbudgets zu deren Linderung führen zu Verteilungskonflikten und politischer Instabilität. Die Afrikanische Entwicklungsbank spricht von einer Verdreifachung der Unruhen, die auf hohe Preise zurückzuführen sind. Es liegt nahe, dass sich diese Entwicklungen sehr stark auf Investitionen in der Region und in weiterer Folge auf deren Wirtschaftswachstum auswirken, sowie die Möglichkeiten der Jungen einschränken, Jobs und Auskommen zu finden.

Doch erstaunlicherweise schlägt sich dies nirgendwo in den letzten Prognosen des Internationalen Währungsfonds vom Oktober 2023 nieder. Kein verfassungswidriger Regierungswechsel, der das Vertrauen in die Rechtssicherheit erschütterte, oder ein gewalttätiger Zusammenstoß, der Investitionen vernichtet, scheint das Wachstum zu bremsen. Zwar mussten die Wachstumszahlen für einige Länder etwas nach unten revidiert werden – doch in keinem Fall kam es zu einem Einbruch, wie man es von anderen Ländern im Krisen- und Kriegszustand kennt, wie etwa dem Bürgerkriegs-Libyen mit einem Einbruch um 50 Prozent.

Der Entwicklungsökonom Carlos Oya erläutert für Äthiopien, das eine sehr ehrgeizige Industrialisierungsstrategie verfolgt, dass sich die ausländischen Investitionen als sehr resilient herausgestellt hatten. Trotz des Kriegsausbruches und des Marsches der Rebellen auf die Hauptstadt zogen zahlreiche Produktionsunternehmen der Leder- und Textilindustrie ihre Maschinen nicht ab und harrten im Land aus.

Viele der Sahelstaaten haben jedoch bisher keine nennenswerte Produktionsindustrie hervorgebracht, deren Wirtschaft beruht zum größten Teil immer noch auf einer kleinteiligen, ländlichen Produktion, vornehmlich der Landwirtschaft. Doch blieb eine Anfrage an mehrere Länderabteilungen des Internationalen Währungsfonds unbeantwortet, auf welche Annahmen und Daten sich diese Prognosen stützen.

Gemäß Schätzungen des Internationalen Währungsfonds hat das Wirtschaftswachstum der Sahel-Staaten kaum unter den Umwälzungen in Form von Staatsstreichen und Unruhen gelitten. Kaum ein Land scheint dauerhaft von seinem Wachstumspfad abzuweichen – und auch die Prognosen für die Zukunft sind optimistisch – mit Ausnahme Gabuns liegen alle Sahel-Staaten über dem Durchschnitt Subsahara-Afrikas (was jedoch aufgrund ihrer extrem niedrigen Ein-kommen wenig überraschend ist).

Gemäß Schätzungen des Internationalen Währungsfonds hat das Wirtschaftswachstum der Sahel-Staaten kaum unter den Umwälzungen in Form von Staatsstreichen und Unruhen gelitten. Kaum ein Land scheint dauerhaft von seinem Wachstumspfad abzuweichen – und auch die Prognosen für die Zukunft sind optimistisch – mit Ausnahme Gabuns liegen alle Sahel-Staaten über dem Durchschnitt Subsahara-Afrikas (was jedoch aufgrund ihrer extrem niedrigen Einkommen wenig überraschend ist).


Afrikas Konflikte sind regional begrenzt – doch sind sie dies auch zeitlich?

Auch wenn derzeitige wirtschaftliche Kennzahlen nicht den rasanten Anstieg an Konflikten in der Sahelzone widerspiegeln zu scheinen, überwiegen die Risiken für die Entwicklung dieser Länder und deren armutsgefährdeter Bevölkerung. Selbst wenn es nicht zu einem unmittelbaren Einbruch der Wirtschaft gekommen wäre, drohen notwendige ökonomische und gesellschaftliche Reformen in den Hintergrund zu rücken und langfristig zu verhindern, dass die Länder der Region ihre Potenziale ausschöpfen.

Dazu kommt, dass die Herausforderungen kaum überstanden sind und die Reserven und Ersparnisse vieler Menschen aufgebraucht sind – obwohl längst weitere am Horizont auftauchen: El Niño droht ohnehin schon schwere Hitzewellen nun noch zu verstärken, der Krieg in der Ukraine und dessen Einfluss auf die globalen Getreidemärkte sind weit weg von einer Lösung. Der nun aufziehende Krieg in Nahost wird die ohnehin schon dünne Akuthilfe der Hilfsprogramme auf viele weitere Bedürftige erstrecken. Instabilität lässt die Investitionen versiegen und hohe Zinsen machen es den Ländern kaum leichter, sich zu refinanzieren und Hilfsprogramme aufzulegen.

Ein schwer beladener Truck transportiert Waren durch den Tschad. Im Hintergrund die weitläufige Landschaft des Sa-hels, die von den örtlichen Sicherheitskräften kaum zu kontrollieren ist. Von den Umweltbedingungen her ist die Regi-on vergleichbar mit Afghanistan – an denen mit den USA selbst die größte Armee der Welt gescheitert ist. (Quelle: Beata Tabak/ shutterstock, 2023)

Ein schwer beladener Truck transportiert Waren durch den Tschad. Im Hintergrund die weitläufige Landschaft des Sahels, die von den örtlichen Sicherheitskräften kaum zu kontrollieren ist. Von den Umweltbedingungen her ist die Region vergleichbar mit Afghanistan – an denen mit den USA selbst die größte Armee der Welt gescheitert ist. (Quelle: Beata Tabak/ shutterstock, 2023)


Doch zuletzt sollte man im Hinterkopf behalten, dass die Konflikte derzeit regional, vor allem auf die Sahel-Region begrenzt sind, auch wenn die Gefahr eines Überspringens auf andere Regionen nicht zu unterschätzen sind. Andere Länder tragen die Keime des Konfliktes bereits in sich: Muslimische Bevölkerungsgruppen und ethnische Minderheiten in anderen Ländern könnten sich Aufständen anschließen. Interessenkonflikte und Spannungen lassen sich so nicht mehr mit finanziellen Mitteln übertünchen. Unter dem Eindruck weiteren Drucks durch äußere Schocks könnten weitere Länder auf dem Kontinent mit in den Sog aus Staatsstreichen, Unruhe und Instabilität gezogen werden.

Doch umgekehrt könnt ein Anspringen der chinesischen Wirtschaft die Rohstoffpreise in die Höhe treiben und Einnahmen in die afrikanischen Staatskassen spülen. Ebenso könnten sich die Zinsen der wichtigsten Leitwährungen Euro und US-Dollar bald wieder senken und so die afrikanischen Budgets entlasten. All dies könnte die Entwicklung zahlreicher Länder auf dem Kontinent wieder in eine positive Richtung drehen und letzten Endes Verteilungskonflikte wieder abmildern.

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