Über Jahrzehnte waren alle Blicke in Afrika auf Europa gerichtet, wenn es um Investitionen und Entwicklungsprojekte ging. Innerhalb weniger Jahre erwuchs den Europäern jedoch mit der Volksrepublik China ein starker Konkurrent. Innerhalb kürzester Zeit überholte das Reich der Mitte von den Industriestaaten finanzierte Weltbank bei Infrastrukturinvestitionen wie Straßen, Staudammprojekte, Rohstoffminen, den Finanzsektor und längst auch Produktion von Waren.
Äthiopien, vor wenigen Jahren der Welt noch eines der ärmsten Länder der Welt, konnte sich als Produzent für Lederwaren und Textilien positionieren, während es nebenbei mit Ethiopian Airways die größte Fluglinie des Kontinents aus dem Boden stampfte. Chinas Bestand an Direktinvestitionen weltweit wächst exponentiell und Afrika erhält einen immer größeren Anteil daran. Insgesamt fast vier Prozent waren es 2014 gegenüber nicht einmal einem Prozent noch 2003. Umgekehrt wuchs auch Chinas Anteil der Investitionen in Afrika seit 2003 mit 0,14 Prozent im Jahr 2014 4,54 Prozent an. Damit liegt es zwar immer noch weit hinter den ehemaligen europäischen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien und auch hinter den USA, doch vermochte man innerhalb von 2011 bis 2016 seinen Bestand an Investitionen annähernd verdreifachen und sich an die bisherigen Platzhirsche anpirschen.
Längst hat sich in der westlichen Welt das Narrativ festgesetzt, China trete auf dem Kontinent als neue Kolonialmacht auf, die sich kaum um das Schicksal oder die Entwicklung der Afrikaner kümmerte, ökologische und soziale Probleme ignorierte oder gar bestehende verschärft. Afrikanische Länder würden durch den chinesischen Drachen in die Schuldenfalle und weiterfolgend in die Verarmung und Verelendung getrieben. Vor allem ginge es Peking darum, lediglich den eigenen Rohstoffhunger seiner Industrie zu befriedigen und Afrika als leer gefegte Wüste zurückzulassen.
Investitionen Chinas, Frankreichs, Großbritanniens, der USA in unterschiedlichen afrikanischen Sektoren.
Doch angesichts der nüchternen Zahlen, in welchen Sektoren die größten Investoren in Afrika ihre Mittel investieren, ist dieses Bild des chinesischen Engagements in Afrika kaum zu halten – und noch viel weniger das Selbstbild, dass Europäer und Amerikaner von sich zeichnen. Ganz im Gegenteil teilt kaum eine ausländische Wirtschaftsmacht einen größeren Teil ihres Kapitals auf Herstellung und Produktion von Waren in Afrika, Bau von Infrastruktur, Wohnkomplexen, Schienen und Kraftwerken, die schließlich die Lebensqualität der lokalen Bevölkerung unmittelbar verbessern. Mit Ausnahme Großbritanniens verteilt auch kein Land mehr seiner Investitionen auf den Finanzsektor. Ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis afrikanischer Entwicklung ist dessen dysfunktionaler Kredit- und Versicherungssektor. Auch der Anteil, der auf die Ausbeutung der lokalen Rohstoffe des Kontinents entfällt, ist um ein Vielfaches kleiner als einer jeden anderen ausländischen Macht auf dem Kontinent.
Afrikaner nehmen Europas Paternalismus nicht mehr hin
Während sich also Chinas Investitionen im Vergleich zu Europa in keiner Weise verdächtig verteilen, sorgt Europas Selbstbild des Erlösers mit der Mission, Afrika aus seinem Elend zu erlösen für mehr und mehr Unmut. Längst haben Afrikaner selbst Neue Medien für eine satirische Aufarbeitung gefunden, wenn man etwa für an Erfrierungen leidende Norweger sammelt, um sie mit Heizkörpern zu versorgen, oder naive westliche Entwicklungshelfer, die Afrikanern Fitness und nicht zu sehr auf materielle Dinge zu achten, näherbringen möchten.
„Wir werden beschimpft und darüber belehrt, uns China nicht anzunähern“, so der Nigerianer Caxton Fatanmi, CEO und Ölhändler. „Die Eliten Afrikas, selbst an westlichen Universitäten ausgebildet, die in ihren eigenen Heimatländern kaum Steuern bezahlen, um solche Infrastrukturprojekte finanzieren zu können, plapperten wie die Papageien die Kritik aus Washington oder Paris nach.“ Sie wären die größten Kritiker des chinesischen Engagements in Afrika. Auf Nachfrage hätten sie aber zumeist keine Antwort darauf, wie man den gewaltigen Investitionsbedarf für Infrastruktur für die afrikanische Bevölkerung decken sollte.
Tatsächlich sieht man dies auch auf einem breiteren Level so. In einer Befragung der liberalen Friedrich Naumann Stiftung Deutschlands sehen mehr als tausend Journalisten, akademisches Personal, Thinktanks, NGOs und wirtschaftlichen Interessenvertretern in 26 afrikanischen Ländern, Europas Engagement ganz ähnlich. Ebenso wenig mögen sie China als die Kolonialmacht verteufeln, wie man es im Westen von ihnen erwartet. Längst sieht man China als nützlichen Mitbewerber, wenn es darum geht, große Bauprojekte kosteneffizient durchzuführen. Das Reich der Mitte schließt aus Sicht der Afrikaner schnell zu den Europäern auf.
Aus Sicht von 75 Prozent der Befragten Afrikaner liegt Chinas Stärke vor allem in den schnellen Entscheidungsprozessen gegenüber 56 für die Europäer. 81 Prozent loben die zeiteffiziente Fertigstellung von Projekten gegenüber 69 bei den Europäern. Dazu schätzt man Chinas Politik der strikten Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, gerade einmal 36 Prozent meinen, die Europäer behandelten afrikanische Länder als gleichwertige Partner gegenüber 50 Prozent, die dies in China sehen.
Doch holt China auch auf, wo Afrikaner noch Vorteile bei den Europäern sehen. Mit 53 liegt China nur wenige Prozentpunkte hinter Europa mit 62 Prozent, wenn es um wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit geht. Mit 66 Prozent wähnen sich nur marginal mehr Afrikaner in einer chinesischen Schuldenfalle als in einer Europäischen mit 59 Prozent. 71 Prozent der afrikanischen Umfrageteilnehmer sehen zwar Europa großzügiger bei Schuldenumstrukturierungen, doch folgt China mit gerade einmal 62 Prozent auf dem Fuße – als Schwellenland, dass selbst erst bitterer Armut entkommen ist. Mit zwölf Prozentpunkten ist Europa klar vorne, wenn es um strategische Kooperation geht, doch sprechen Chinas 65 Prozentpunkte auch nicht für den peitsche schwingenden Kolonialherren, der gerne an die Wand gemalt wird.
China hat zwar auf einer Liste mit 17 Oberkategorien letzten Endes gerade einmal in vieren die Nase vorne, eine davon – jedoch auch bei den Europäern wahrgenommene Korruption. Jedoch sind diese vier jene, auf die es bei komplexen Projekten am meisten ankommt: schnelle Planung und Durchführung und sich aus inneren Angelegenheiten und den Entscheidungsprozessen herauszuhalten.
„Europa könne unter den von ihnen diktierten Bedingungen schlicht nicht mit der Geschwindigkeit mithalten, mit der sich Afrika entwickeln möchten,“ so Caxton Fatanmi.
Der kenianische Mitautor James Shikwati, drückt es in der Deutschen Welle so aus: „Chinesen fragen: Welche Straße soll von wo nach wo gebaut werden? Europäer prüfen erst, wie viele Insekten darüber laufen.“ Europa diktierte Afrikanern, was sie bräuchten und gäben ihr Wertesystem vor. Die Chinesen bauen inzwischen Hardware, und Straßen wären schließlich ebenso Werte.
Westliche Werte stehen Afrikas Entwicklung im Weg
Auch Caxton schließt sich dieser Ansicht an. Jeder, der schon einmal Erfahrungen mit Projektplanungen gemacht hat, würde wissen, dass Projekte nach europäischen oder nordamerikanischen Standards ewig im Planungsstadium hingen. Sie kämen auch mit höheren Kosten und letzten Endes dem Risiko daher, schließlich überhaupt nicht gebaut zu werden. So verkündete die vor allem von westlichem Kapital gedeckte Weltbank am 2. Februar 2011, sich aus der Finanzierung der Nairobi Toll Road Projects (NTR) zurückzuziehen, dessen Finanzierung 2007 eigentlich bereits zugesagt worden war. Als Grund für den Rückzug gibt die Weltbank an, dass der österreichische Auftragnehmer Strabag SE sich nicht zu Integritätsvorschriften und Trainingsprogrammen der Institution verpflichtet hätte. Ein von ihr finanziertes Straßenbauprojekt müsste mit den ökologischen und sozialen Standards der Weltbank Gruppe übereinstimmen sowie alle Parteien entlang der 160 Kilometer langen Route zu Konsultationen einbeziehen. Gegen welche Bestimmungen der österreichische Straßenbaukonzern genau verstoßen hatte, wurde weder von der Weltbank erläutert noch gab Strabag selbst dazu Auskunft.
Dagegen stampfte die China Road and Bridge Corporation (CRBC) während der COVID-19-Pandemie ein 27 Kilometer langes Teilstück aus dem Boden, welches den Flughafen Nairobi als Express-Highway mit dem zentralen Bezirk Westlands der Hauptstadt verbindet. Dadurch wird auch das regelmäßig überlastete Verkehrssystem der Stadt entlastet. Der Geschäftsführer des österreichischen Beratungsunternehmens Ecotec Hans Stoisser beschreibt das Dilemma lokaler afrikanischer Regierungen: „Unter dem Eindruck täglicher Verkehrsinfarkte befindet man sich unter dauerndem Druck der urbanen Bevölkerung. Mit welchem Projektpartner kommt man wohl eher zu einer Lösung der drängenden Infrastrukturprobleme afrikanischer Städte? Europa oder China?“