Denn der Einfluss fremder Mächte endete längst nicht mit dem Ende der großen Kolonialreiche, als Frankreich, Großbritannien und Portugal Welle für Welle zwischen den 1950er und 1970er vom Kontinent gefegt wurden. Mit dem Rauswurf der Europäer als „dominante Ethnie“ gingen die Konflikte annähernd nahtlos in innerstaatliche Konflikte zwischen sozialen oder ethnischen Gruppen über. Diese standen sich vor allem in zwei Konfliktszenarien gegenüber:
Im einen zersplitterte die Bevölkerung in lokale Fraktionen unterschiedlichster politischer oder sozialer Gruppierungen und Identitäten. Diese radikalisierten sich zunehmend und vertraten verschiedenste miteinander unvereinbare Positionen. In dieser polarisierten Atmosphäre waren keine Kompromisse mehr möglich und es kam zum Stillstand im gemeinsamen Staat – und in vielen Fällen schlug diese gegenseitige Blockade in Gewalt um. Im Zweiten war eine politische oder ethnische Gruppe so groß und mächtig, dass sie in der Lage war, alle anderen zu dominieren. Dadurch konnte sie alle staatlichen Strukturen übernehmen, alle wichtigen politischen Positionen in allen relevanten Institutionen – von der Regierung über die Justiz bis zum Militär – zu übernehmen. Eine Gewaltenteilung war so de facto nicht mehr vorhanden im Staat, was die Unabhängigkeitsbestrebungen der anderen Gruppen und damit Sezessionskriege beförderte.
Die neu auf den Plan der Weltordnung getretenen Supermächte UdSSR sowie USA, als auch Regionalmächte wie Südafrika, Israel oder Libyen nutzten die innere Zerrissenheit afrikanischer Staaten auf dem Kontinent, um Interessenkonflikte zu befeuern und bis hin zu Bürgerkriegen eskalieren zu lassen. Der nationale Widerstand Mosambiks bekämpfte die Mosambikanische Befreiungsfront, das marxistische Derg-Regime die Eritreische und Tigrayische Volksbefreiungsfront, und Charles Taylors Nationalpatriotische Front Liberias trat gegen die Vereinte Befreiungsbewegung Liberias für Demokratie an. Mit fatalen Auswirkungen auf die Demokratie: Jeder Riss und jede Kompromissbereitschaft innerhalb der Gesellschaft wurde genutzt, um seiner Seite zum Sieg zu verhelfen, und das Land als Ganzes ins eigene Lager zu ziehen. Zum Ende des Kalten Krieges waren 85 Prozent der afrikanischen Nationen unter der Kontrolle einer zivilen, militärischen oder kultischen Junta unterworfen – deren Macht jedoch mit dem Untergang des Kommunismus umso schneller dahinrostete.
Mit Äthiopien, Liberia und dem Apartheidstaat Südafrika waren lediglich drei afrikanische Staaten der Kolonisierung entgangen. Den Beginn der Entkolonialisierung machten die nordafrikanischen Staaten Marokko, Libyen und Tunesien mit einer mehrheitlich arabischen Bevölkerung in den 1950er Jahren, während Frankreich noch verbissen um Algerien kämpfte. Im folgenden Jahrzehnt stieg die Zahl der unabhängigen Länder kontinuierlich um ehemals britische Kolonien an bis in den 60er Jahren 17 französische Territorien in West- und Zentralafrika auf einmal ihre Unabhängigkeit erhielten. Mit dem Fall der portugiesischen Diktatur wurden Angola, Kap Verde und Guinea-Bissau 1974/75 frei. 1977 wurde Dschibuti als letztes afrikanisches Land von Frankreich in die Unabhängigkeit entlassen. Dabei gelang jedoch lediglich 15 der 38 Kolonialgebiete der friedvolle Übergang in stabile staatliche Identitäten. Im großen Rest gingen die Konflikte nahtlos in ethnische und soziale Auseinandersetzungen von Afrikanern untereinander über. (Quelle: Marshall, 2005; eigene Darstellung)
Doch abseits von medialen Berichten begann zur selben Zeit in den 1990er auch Afrikas Selbstermächtigung.
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