Nach dem Bruch mit dem Kommunismus hätte alles anders werden sollen, eine Welle des Optimismus wogte durch die ex-sowjetische Welt. Doch Armenien entfernte sich von der Welt. Ähnlich wie Europa heute, kämpfte es mit dem völligen Bruch seiner Energieversorgung. Auch wenn das Land heute nach wie vor allein in Russlands Bann steht, so ist es an den Menschen, dort ständig weiterzumachen.
Während des Bestehens der Union war die Armenische Sowjetrepublik sehr stark von subventionierten Öl- und Gaslieferungen seiner benachbarten Republiken abhängig, um seine Industrie am Laufen zu halten. Dabei hatten die Sowjets das Land zu einer hochindustrialisierten Region entwickelt, die einen bedeutenden Beitrag zur kommunistischen Computer- und Raumfahrtindustrie leistete. Mit dem Ende der Sowjetunion und der Unabhängigkeit waren die Armenier plötzlich auf sich alleine gestellt. Noch fataler wurde es, als man sich in einem Grenzkrieg um Berg-Karabach mit dem erdgasreichen Aserbaidschan wiederfand, welches Armeniens Energieversorgung blockierte. Das Land fiel in eine tiefe Krise: In diesen kalten und dunklen Jahren wäre man das erste Land geworden, dass vom Raumfahrzeitalter in die Steinzeit zurückfiel, spotteten die Armenier.
Einbruch der Wirtschaft nach der Auflösung der Sowjetunion ausgewählter Nachfolgestaaten . (Quelle: Weltbank.com, 2022)
Doch gleichzeitig nutzten die Armenier die Gelegenheit, ihr Improvisationstalent, ihren Erfindungsreichtum und ihren unternehmerischen Verstand einzusetzen, um die Zeit zu überstehen. Andrak erschuf sich aus den Trümmern der wenige Jahre zuvor durch ein Erdbeben zerstörten Stadt Gjumri ein Wertstoffzentrum, bevor er zum Künstler wurde. Zahlreiche Autos wurden auf Propangas umgestellt, was selbst internationale Organisationen, wie die internationale Energieagentur auf den Plan rief, und das Land zu einem Vorreiter klimafreundlicher Mobilität erklärten, mit 60% gasbetriebener Fahrzeuge.
Links: Ein Taxi in Jerewan mit einem improvisierten Gastank. Recht: Die Auslieferflotte der armensichen Post wird ebenfalls mit Gas betrieben. Hier, die neuen 4×4 Zustelltrucks, um die Verteilung der Post auch in schwer zugänglichen Gegenden mit schlechten Straßenverhältnissen zu ermöglichen. (Quellen: armenianweekly.com, Haypost, 2021)
Die Armenier wurden so auch besonders exemplarisch für die postsowjetische Generation, die den Fall des Kommunismus miterlebt hatte. Die meisten waren noch im Kommunismus in Universitäten eingetreten, im Wissen, in den zahlreichen Firmen und Fabriken des Landes Arbeit und Auskommen zu finden. Doch nach Studienabschluss war von diesen nicht mehr viel übrig. Die einst großen sowjetischen Märkte waren zusammengeschrumpft auf kaum drei Millionen Armenier – zu wenige, um die monströsen Fabriken rentabel zu betreiben. Innerhalb weniger Jahre explodierte die Zahl der Subsistenzbauern, Hunger nahm wieder Einzug in das ehemalige Industrieland. Zahlreiche Familien verdingten sich mit dem Kauf westlicher Produkte, wie Medikamente, und versuchten diese in der Heimat zu verteilen. Zurück blieb bei vielen ein tiefes Trauma und Verunsicherung über die Zukunft, die sie bis heute nicht überwunden haben und für die im Westen selten Verständnis aufgebracht wurde.
Die ganze Geschichte in der „Postsowjetischen Welt – Vom Untergang des Kommunismus bis zur Invasion der Ukraine“.